Energiearmut
Aktuelle Studien zeigen deutlich, dass Energiearmut in Deutschland eine zunehmende Anzahl von Haushalten bedroht. Die hohen Energiekosten stellen für viele Menschen eine zunehmende Belastung dar. Mitunter sitzen Verbraucherinnen und Verbraucher sogar im Kalten beziehungsweise Dunkeln, weil Strom und Gas unbezahlbar für sie geworden sind. Um dies zu verhindern, hat die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen gegen Energiearmut in die Wege geleitet.
- Was versteht man unter Energiearmut?
- Ursachen
- Ausmaß der Energiearmut
- Maßnahmen
- Verwandte Themen
- Weiterführende Links
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Haushalt gilt als energiearm, wenn er mehr als zehn Prozent seines Nettoeinkommens für Energie aufwenden muss.
- Energiearmut betrifft insbesondere einkommensschwache Menschen.
- Für Energiearmut sind vor allem Armut an sich und gestiegene Energiepreise verantwortlich, aber auch der Gebäudezustand, die vorhandenen Elektrogeräte und/oder das persönliche Nutzungsverhalten.
- Haushalte in Deutschland haben die Möglichkeit, die Kosten für Strom und Gas durch einen Anbieterwechsel zu senken.
Was versteht man unter Energiearmut?
Im Allgemeinen bezeichnet Energiearmut eine Situation, in der eine Person einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Einkommens für Energiekosten aufwenden muss oder Energierechnungen aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht begleichen kann. Allerdings existieren verschiedene Ansätze und Herangehensweisen, um zu definieren und zu messen, ob ein Haushalt von Energiearmut betroffen ist.
Meist wird hierzulande auf die in Großbritannien gängige Definition zurückgegriffen. Im Vereinigten Königreich gilt ein Mensch als energiearm, wenn er mehr als zehn Prozent seines Haushaltsnettoeinkommens für Energie – ohne Kraftstoffe wie Benzin oder Diesel – aufwenden muss. Nach anderen Definitionen wird ein Haushalt hingegen als von Energiearmut betroffen eingeschätzt, wenn dessen Nettoeinkommen nach Abzug aller Energiekosten unter der Armutsgefährdungsschwelle (60 Prozent) liegt.
Wer ist von Energiearmut betroffen?
Tendenziell gilt: Je höher das Einkommen, desto geringer der für Energie aufgewendete Anteil. Energiearmut betrifft demnach insbesondere einkommensschwache Personen, also vor allem drei Gruppen:
- Haushalte in der Grundsicherung
- Geringverdienende
- Anspruchsberechtigte Personen, die Leistungen (beispielsweise aus Scham) nicht geltend machen
Bereits vor dem extremen Anstieg der Energiekosten entfielen in Haushalten mit einem Monatseinkommen von weniger als 1.300 Euro rund zehn Prozent der Konsumausgaben auf Wohnenergie. Bei Durchschnittsverdienerinnen beziehungsweise -verdienern lag der Anteil dagegen lediglich bei 6,1 Prozent, bei der höchsten Einkommensklasse sogar nur bei 4,7 Prozent.
Indikatoren für Energiearmut
Verschiedene Variablen können Aufschluss darüber geben, ob eine Person als energiearm gilt. Der Energy Poverty Advisory Hub – eine internationale Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Energiearmut – empfiehlt, vor allem folgende Indikatoren heranzuziehen:
- Zahlungsrückstände bei Energieversorgern
- Niedrige absolute Ausgaben für Energie (weniger als die Hälfte des Medianeinkommens)
- Überdurchschnittlich hoher Anteil der Energiekosten am Einkommen (etwa mehr als 10 Prozent des Nettoeinkommens)
- Einschränkung des Energieverbrauchs beziehungsweise Unfähigkeit, die Wohnung angemessen zu heizen
Ursachen für Energiearmut
Unter Fachleuten besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Energiearmut auf verschiedene Ursachen zurückgehen kann. Als Schlüsselfaktoren gelten vor allem ein niedriges Haushaltseinkommen und die steigenden Energiekosten. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang aber ebenso die Energieeffizienz des Wohngebäudes und die Ausstattung an Haushaltsgeräten beziehungsweise das Nutzungsverhalten.
Niedriges Haushaltseinkommen
In Haushalten mit niedrigem Einkommen beziehungsweise von Armut betroffenen Haushalten besteht ein deutlich höheres Risiko, dass die Energiekosten zu einem existenzbedrohenden Faktor werden. In Deutschland gelten Verbraucherinnen und Verbraucher als arm, wenn sie Sozialhilfe oder Bürgergeld beziehen, knapp über der Armutsgrenze leben oder häufig Schulden haben. Als problematisch erweist sich diesbezüglich auch der Umstand, dass die Reallöhne durch die hohe Inflation in letzter Zeit spürbar gesunken sind.
Steigende Energiepreise
Die anziehende Inflation und der Ukrainekrieg haben dazu geführt, dass die in den letzten Jahren ohnehin schon hohen Energiepreise neue Rekordstände erreicht haben. Allein von 2020 bis Ende 2022 ist der Strompreis um mehr als 40 Prozent und der Gaspreis sogar um fast 200 Prozent gestiegen. Viele Expertinnen und Experten befürchten, dass sich dieser Trend in nächster Zeit fortsetzen könnte. Muss mehr Geld fürs Heizen und den Betrieb von Haushaltsgeräten ausgegeben werden, steigt logischerweise der Anteil der Energiekosten.
Anders als viele Verbraucherinnen und Verbraucher vermuten, lassen sich die kontinuierlichen Preisanstiege nicht beziehungsweise nicht ausschließlich auf die Gier der Stromanbieter zurückführen. Auch die Regierung hat dazu beigetragen, dass Strom fast schon unbezahlbar ist. Steuern, Abgaben, Umlagen und gesetzlich regulierte Netzentgelte machen rund 50 Prozent des Strompreises aus. Dazu zählen beispielsweise die Strom- und Mehrwertsteuer, die Konzessionsabgabe und die Umlage nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz.
Effizienzstandard des Wohnraums
Energiearmut entsteht vor allem in unsanierten Altbauten, die eine niedrige Energieeffizienz aufweisen. Insbesondere der Bedarf an Heizenergie fällt in ineffizienten Wohngebäuden deutlich höher aus. Einfluss auf den Energieverbrauch hat aber auch die Lage der Wohnung. Für eine unter dem Dach gelegenen Eckwohnung kann sich, verglichen mit einer Wohnung in der Mitte des Gebäudes, beispielsweise ein bis zu 40 Prozent höherer Verbrauch ergeben.
Hinzu kommt, dass ineffiziente Bestandsimmobilien oftmals von einkommensschwachen Personen bewohnt werden. Dieser Umstand lässt sich unter anderem auf die relativ niedrigen Mieten zurückführen, aber auch darauf, dass Sozialbehörden Mietkosten nicht in beliebiger Höhe übernehmen. Die Folge ist, dass Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger überdurchschnittlich oft in Wohnungen leben, die sich in einem schlechten Zustand befinden.
Ausstattung an Haushaltsgeräten und Nutzungsverhalten
Auch in die Jahre gekommene Elektrogeräte mit niedriger Energieeffizienzklasse können dafür verantwortlich sein, dass ein überdurchschnittlich hoher Anteil des Einkommens für Energie aufgewendet werden muss. Allein durch einen 20 Jahre alten Kühlschrank können sich zusätzliche Stromkosten von über 100 Euro pro Jahr ergeben. Dasselbe gilt für andere Haushaltsgeräte wie Waschmaschine und Gefriertruhe. Insbesondere einkommensschwache Haushalte verfügen nur selten über energieeffiziente elektrische Geräte, da für solche meist das Geld fehlt und kaputte durch gebrauchte Geräte ausgetauscht werden.
In anderen Fällen ist dagegen das Nutzungsverhalten dafür verantwortlich, dass sich die Rechnung für Gas oder Strom als unbezahlbar erweist. Wie individuell geheizt und gelüftet wird, kann zu Unterschieden im Energieverbrauch von bis zu 50 Prozent führen. Eine nur um ein Grad Celsius niedrigere Raumtemperatur senkt die Heizkosten beispielsweise bereits um sechs Prozent. Der Stromverbrauch lässt sich ebenfalls durch zahlreiche Maßnahmen reduzieren, beispielsweise durch Steckdosen mit Ein/Aus-Schalter und die Verwendung des Energiesparmodus.
Energiearmut in Deutschland: Von der Randerscheinung zum Massenphänomen
Während 2021 rund 14,5 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen mehr als zehn Prozent ihres Nettoeinkommens für Energie ausgaben, stieg dieser Wert bis Mai 2022 auf rund 25 Prozent an. Mittlerweile betrifft Energiearmut nicht mehr nur ausschließlich Haushalte der unteren Einkommensklassen, sondern zunehmend auch die Mittelschicht. In der unteren Mitte (60 bis 80 Prozent des Medianeinkommens) waren im Mai 2022 rund 40 Prozent aller Menschen von Energiearmut gefährdet. 2021 lag dieser Anteil noch bei circa 20 Prozent. In den untersten Einkommensklassen fällt der Wert mit bis zu über 90 Prozent sogar noch deutlich höher aus.
Ein Blick auf die nackten Zahlen verdeutlicht das Ausmaß der Energiearmut: Wie aus dem Monitoringbericht der Bundesnetzagentur hervorgeht, waren im Jahr 2020 rund 230.000 Menschen von einer Stromsperre und rund 24.000 Verbraucherinnen sowie Verbraucher von einer Gassperre betroffen. Im darauffolgenden Jahr stieg die Anzahl der Stromsperrungen um zwei Prozent auf 235.000 an, die der Gassperrungen dagegen um 12 Prozent auf 27.000. Aufgrund der durch den Ukrainekrieg verursachten Preissteigerung ist insbesondere Gas unbezahlbar für viele Verbraucherinnen und Verbraucher geworden. Daher könnte der Wert für das Folgejahr sogar noch deutlich höher ausfallen.
Vom Strom- oder Gasanbieter gesperrt zu werden, kann schnell gehen: Schon bei offenen Rechnungsbeträgen von 100 Euro dürfen Energieversorger den Strom- beziehungsweise Gashahn zudrehen. Die Sperre muss jedoch vier Wochen vorab schriftlich angekündigt werden – und drei Tage zuvor erneut.
Maßnahmen gegen Energiearmut
Um die Bevölkerung zu entlasten, hat die Bundesregierung im Jahr 2022 insgesamt drei Hilfspakete mit einem Gesamtvolumen von rund 100 Milliarden Euro geschnürt. Diese umfassten verschiedene Maßnahmen gegen Energiearmut, unter anderem:
- Anhebung des Arbeitnehmer- und Sparer-Pauschbetrags
- Erhöhung des Grundfreibetrags
- Erhöhung der Entfernungspauschale
- Wegfall der EEG-Umlage
- Einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro
- Inflationsausgleichsprämie
- Heizkostenzuschuss für Beziehende von Wohngeld
In den vergangenen Jahren wurde außerdem viel darüber debattiert, ob die Einführung eines Prepaid-Strom-Modells zur Lösung des Problems beitragen kann. Die Vorteile dieser Tarife liegen auf der Hand: Durch die Vorabzahlung können keine Stromschulden entstehen. Internationale Studien zeigen zudem: Stromkosten lassen sich so besser kontrollieren, was zu Einspareffekten von bis zu 19 Prozent führt. Nachdem der Energieversorger EnergieRevolte 2018 mit Prepaid-Strom in den Markt startete, haben mehrere Grundversorger zwar nachgezogen. Dennoch werden Vorauskasse-Systeme bisher kaum genutzt.
Tipp
Ganz gleich, ob von Energiearmut betroffen oder nicht: Haushalte in Deutschland haben die Möglichkeit, die Kosten für Strom und Gas durch einen Anbieterwechsel zu senken. Das lohnt sich mitunter richtig: Wer beispielsweise vom Grundversorgungstarif des lokalen Anbieters zum günstigsten Tarif ohne Vorauskasse wechselt, kann jährlich mehrere Hundert Euro sparen.
Von Energiearmut betroffene Personen haben außerdem die Möglichkeit, eine kostenlose Energieberatung – zum Beispiel über die Verbraucherzentrale – in Anspruch zu nehmen. Im Fokus wissenschaftlicher Diskussionen stehen zudem Sozialtarife, ein Verbot von Strom- beziehungsweise Gassperren und kommunale Härtefallfonds, die Betroffene unterstützen.
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