Jühnde (dpa) - Ein Krämerladen, ein Bäcker, ein Arzt, zehn Bauern. Jühnde ist ein ganz gewöhnliches Dorf. Aber nicht mehr lange. Denn die 780-Seelen-Gemeinde im Kreis Göttingen wird das erste "Bioenergiedorf" Deutschlands. "Schon im kommenden Jahr werden wir unsere komplette Strom- und Wärmeversorgung aus Biomasse gewinnen", hofft Bürgermeister August Brandenburg (SPD). "Das gibt es sonst nirgends".
Die Erdarbeiten für die dazu erforderliche einzigartige Bioenergieanlage auf einem Acker bei Jühnde haben bereits Ende Oktober begonnen. Beim ersten offiziellen Spatenstich sagte die in grünen Gummistiefeln im Schneematsch erschienene Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) am Freitag, das Projekt gebe der Landwirtschaft und dem ländlichen Raum eine langfristige Perspektive. "Das ist Zukunft, die vom Lande kommt". Der Bund fördert das inklusive Planung rund sechs Millionen Euro teure Vorhaben mit insgesamt 2,3 Millionen Euro.
In der Bioenergieanlage sollen die Gülle von 800 Jühnder Kühen und 1400 Schweinen sowie Gras, Grünschnitt und andere Pflanzen von den Äckern der örtlichen Landwirte zu
Biogas vergoren werden. Das Gas treibt ein Blockheizkraftwerk mit Generatoren an. Und im Winter wird die Energieversorgung des Dorfes durch ein Holzschnitzel-Heizwerk ergänzt.
"Wir wollen nicht nur durch nachwachsende Rohstoffe netzunabhängig
Strom und Wärme für das Dorf produzieren, sondern auch Landwirten und der Forstwirtschaft neue Einkommensquellen erschliessen", sagt der Bürgermeister. Die Jühnder Dorfgemeinschaft werde auf diese Weise "zum Vorreiter in Sachen umweltfreundlicher Energiegewinnung", meint der Göttinger Stefan Wenzel, Fraktionschef der Grünen im Niedersächsischen Landtag.
"Die Bauern haben die Saat für die Pflanzen schon eingebracht", berichtet Brandenburg. Im nächsten Sommer soll mit dem Biogas dann erstmals Strom produziert werden. Im Herbst sollen die Rohre für das geplante
Nahwärmenetz unter der Erde liegen und das Heizwerk betriebsbereit sein.
"Vier Jahre lang haben die Planungen und Vorbereitungen gedauert", berichtet Eckhard Fangmeier vom Vorstand der Betreibergenossenschaft des Bioenergiedorfes. Schon jetzt haben sich mehr als 70 Prozent der Jühnder Haushalte entschlossen, ihre Wärme- und Energieversorgung umzustellen. "Mit den übrigen stehen wir in aussichtsreichen Gesprächen".
Jühnde sei ein Modell und ein Vorbild für den ländlichen Raum, erklärte Ministerin Künast am Freitag in Jühnde. "Denn fast jedes Dorf in Deutschland kann heute Bioenergiedorf werden". Das Jühnder Projekt werde beweisen, dass Biomasse der flexibelste aller erneuerbaren
Energieträger ist. Mit Biomasse könne man die Energieversorgung eines Dorfes sicher stellen. "Die nachwachsenden Rohstoffe sind das Öl des 21. Jahrhunderts".
Obwohl ihre Anlagen noch nicht stehen, können sich die Jühnder nach eigenen Angaben vor Anfragen kaum retten. "Das Interesse ist riesig", sagt Bürgermeister Brandenburg. "Auch international wird unser Projekt beachtet".
Wahrscheinlich wird auch in den kommenden Jahren
Energie etwa in Form von Treibstoff für die Traktoren oder andere Transportmittel in das Dorf eingeführt werden. Eine exakte Energiebilanz gibt es bislang noch nicht.