Stuttgart/Philippsburg (dpa/lsw) - Nach der neuen Panne im
Atomkraftwerk Philippsburg (Kreis Karlsruhe) verlangt das
Landesumweltministerium vom Energie-Konzern EnBW als Betreiber bis
zum kommenden Montag (7. Oktober) einen umfassenden Bericht. Die
Opposition reagierte am Mittwoch auf den Zwischenfall mit zum Teil
heftigen Vorwürfen gegen die Landesregierung. In Block 1 des
Kraftwerks war radioaktiv belastetes Reinigungswasser unkontrolliert
in das Regenwassersystem gelangt.
In dem vom Umweltministerium geforderten Bericht müsse unter
anderem festgelegt werden, wie hoch der Vorfall in der
internationalen Bewertungsskala INES eingestuft wird, hiess es am
Mittwoch in Stuttgart. EnBW sicherte diesen Bericht zu. Der Vorfall,
werde vermutlich in INES-Stufe 1 eingeordnet, womit das Ganze als
"Störung" gelten würde, erklärte der Energie-Konzern.
Der Zwischenfall zeige, dass Umweltminister Ulrich Müller (CDU)
seiner Verantwortung für die Sicherheit der Atomanlagen im Land in
keiner Weise nachkomme, sagte SPD-Fraktionschef Wolfgang Drexler.
Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann stellte die Zuverlässigkeit
des Betreibers EnBW in Frage und rief die Regierung um
Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) auf, ihren "sinnlosen Widerstand
gegen den
Atomausstieg" aufzugeben.
Mitarbeiter einer Fremdfirma hatten in Philippsburg radioaktiv
belastetes Reinigungswasser unkontrolliert in das Regenwassersystem
geleitet. Wie viel verunreinigtes Wasser in den Rhein gelangt ist,
stehe noch nicht fest, teilte das Ministerium mit. Neben der
EnBW
habe aber auch die Landesanstalt für Umweltschutz (LfU) eigene Proben
entnommen, die aber noch nicht ausgewertet seien. Der Vorfall werde
derzeit einer "vertieften Ursachenanalyse" unterzogen, sagte eine
Sprecherin der
Energie Baden-Württemberg (EnBW) in Karlsruhe.
Der überwiegende Teil der radioaktiven Teilchen habe sich in
Schmutzabscheideschächten abgelagert, so die Sprecherin. Der
komplette Regenwasserkanal sei inzwischen gespült und das Spülwasser
abgepumpt und sachgerecht entsorgt worden. Messungen der EnBW an den
Einleitstellen am Rhein hatten keine erhöhten Messwerte ergeben.
Nach Angaben der EnBW hatte die abgeleitete Flüssigkeit eine
geschätzte Aktivität von 3,2 Millionen Becquerel. Laut
Landesumweltministerium darf das AKW Philippsburg pro Jahr eine
Aktivität von 150 Milliarden Becquerel (pro Tag: gut 410 Millionen
Becquerel) in den Rhein ableiten.
Trotz der letztlich geringfügigen Menge an fehlgeleitetem
belastetem Reinigungswasser sprach SPD-Fraktionschef Drexler von
"Schlampereien und sicherheitstechnischem Pfusch in baden-
württembergischen Atomkraftwerken". Inzwischen bestehe der Verdacht,
dass die EnBW auf die Nachlässigkeiten der Atomaufsicht spekuliere
und mit schwer wiegenden Konsequenzen nicht zu rechnen habe.
Umweltminister Müller müsse sich die Frage stellen, ob er für diese
Aufgabe der Richtige sei, so Drexler.
Grünen-Fraktionschef Kretschmann forderte die EnBW auf, das nach
einer ersten Pannen-Serie vor einem Jahr angekündigte neue
Sicherheitsmanagement endlich umzusetzen. "Statt eine Verlängerung
der Laufzeit des ältesten deutschen Reaktors in Obrigheim zu
beantragen, sollte sich EnBW-Chef Gerhard Goll gefälligst Gedanken
machen, wie der wesentlich jüngere Reaktor in Philippsburg so
betrieben wird, dass die Öffentlichkeit nicht alle 14 Tage durch
Meldungen über Pannen und Unfälle alarmiert wird."
Die Störung sei "ein erneuter Beweis für ständige Schlampereien
seitens des AKW-Betreibers EnBW sowie des Stuttgarter
Umweltministeriums", erklärte der Bundesverband Bürgerinitiativen
Umweltschutz (BBU) in Bonn. Die von der EnBW geplante Verlängerung
der Laufzeit für Deutschlands ältestes AKW in Obrigheim bis 2007
wertete der BBU als Zeichen dafür, dass der von Bundesregierung und
Atomwirtschaft ausgehandelte Atomkonsens "endgültig geplatzt" sei.