Regierung: Benzinpreis bleibt hoch - Auch Autoindustrie für Biosprit
Stand: 04.09.2005
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Berlin (dpa) - Autofahrer in Deutschland müssen sich nach Einschätzung von Regierung und Wirtschaftsexperten noch lange auf hohe Benzinpreise auch über 1,50 Euro pro Liter einstellen. Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) und SPD-Chef Franz Müntefering warben am Wochenende daher eindringlich für alternative Energien und eine Loslösung vom Erdöl. Auch die Autoindustrie will nach eigenen Angaben einen höheren Einsatz von Biokraftstoffen vorantreiben. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) schlug in einem dpa-Gespräch eine zeitweise Kappung der Mehrwertsteuer auf den Benzinpreis vor, weil der Staat an der jetzigen "Spekulationsblase von 15 bis 20 Cent über Normalpreis" nicht noch mitverdienen solle.
Trittin sagte der dpa, nach der Hurrikan-Katastrophe in den USA sei noch auf lange Sicht mit hohen Ölpreisen zu rechnen - auch wenn spekulative Preisspitzen herausgerechnet würden. In der "Märkischen Allgemeinen" (Potsdam/Montag) warf er den Mineralölkonzernen vor, die Krise in den USA zum Vorwand zu nehmen, um die Benzinpreise in Deutschland drastisch anzuheben. Trittin zur dpa: "Wir müssen weg vom Öl und runter mit dem Verbrauch. (...) Wir müssen den Anteil von Biosprit an Benzin und Diesel erhöhen und alternative Treibstoffe wie Erdgas weiter voranbringen." Es sei realistisch, dass Deutschland ein Viertel seines Treibstoffbedarfs aus nachwachsenden Rohstoffen decken werde. Das helfe dem Klimaschutz, der Landwirtschaft und Autofahrern.
Auch der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Bernd Gottschalk, sagte: "Angesichts der Preisexplosion von Benzin und Diesel an den Zapfsäulen muss der Einsatz regenerativer Biokraftstoffe konsequent voran getrieben werden." Die deutsche Automobilindustrie sei schon heute für einen höheren Einsatz biogener Kraftstoffe gerüstet - sowohl beim Diesel als auch beim Benziner. Das Potenzial sei noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Es sei aber ein "Schulterschluss von Mineralölwirtschaft und Politik" nötig. Trittin verlangte, dass die Autoindustrie den Durchschnittsverbrauch von neu entwickelten Fahrzeugen bis 2012 auf 5 Liter (heute 6,8 Liter) senkt.
Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) wies den Vorschlag von Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Edmund Stoiber zur Eindämmung des Benzinpreis-Anstiegs zurück. "Die Ankündigung von Frau Merkel, die Ökosteuer um drei Cent zu senken, ist Zeichen eines grenzenlosen Populismus und finanzpolitischer Unseriosität", sagte er der "Welt am Sonntag". Auch Trittin sagte: "Wir wissen aus Erfahrung, dass im Ergebnis Steuerrücknahmen nicht bei den Konsumenten ankommen." Seit fast drei Jahren sei die Ökosteuer nicht erhöht worden - trotzdem sei der Spritpreis um fast 40 Cent gestiegen.
Die Freigabe nationaler Ölreserven wird die steigenden Benzinpreise in Deutschland nach Ansicht führender Wirtschaftsexperten nicht nachhaltig dämpfen. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) sagte der "Bild am Sonntag": "Es ist wahrscheinlich, dass der Benzinpreis in den nächsten Wochen die 1,50-Euro-Marke pro Liter Normalbenzin durchbrechen wird. Die teilweise Freigabe der Ölreserven wird nicht nachhaltig für niedrigere Preise sorgen."
Hingegen war nach Ansicht von Ministerpräsident Koch die Öffnung der staatlichen Ölreserven kurzfristig die richtige Antwort, um den Markt zu beruhigen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte diesen Schritt am Freitag auf Wunsch der USA und im Rahmen einer weltweiten Aktion zur Öl- und Benzinpreis-Senkung angekündigt.