Widerstand im Wendland: Sitzblockaden und Satire gegen Atomkraft
Stand: 20.10.2004
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Lüneburg/Dannenberg (dpa/lni) - Mannshohe frisch gestrichene X- Symbole an Alleebäumen und in Vorgärten säumen wieder die Bundesstrasse von Lüneburg in den Landkreis Lüchow-Dannenberg. Der achte Castortransport aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins atomare Zwischenlager nach Gorleben steht kurz bevor. "Nach unseren Informationen könnten die Castoren schon am 8. November im Wendland eintreffen, früher als in den vergangenen Jahren", sagt Francis Althoff von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI).
Die Vorbereitungen für den Transport der zwölf Castoren laufen auf Hochtouren. Während Bundesgrenzschutzbeamte die Bahnstrecke kontrollieren, bereiten sich 50 Pastoren und Diakone mit einem Mediationsverfahren auf die erwarteten Konfrontationen von Atomkraftgegnern und Ordnungshütern vor. "Die Kirche will ihre Friedensarbeit beim Castortransport verstärken", sagt Dannenbergs Superintendent Peter Kritzokat. Die Seelsorger werden - erstmals in weissen Westen, um besser erkannt zu werden - rund um die Uhr am Brennpunkt sein. In ihrem "Pastorenbericht" zum Transport 2003 hatten die Kirchenvertreter der Polizei rüdes Vorgehen einzelner Beamter bis hin zur Misshandlung von Demonstranten vorgeworfen.
Die Polizei wird in diesem Jahr weniger Kräfte einsetzen als früher. "Das entspricht unserer derzeitigen Lagebeurteilung", sagt Einsatzleiter Friedrich Niehörster. Zahlen nannte der Direktor der Polizei im Regierungsbezirk Lüneburg nicht. 2003 hatten rund 12.500 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz die Castoren auf ihrem 350 Kilometer weiten Weg durch Niedersachsen gesichert. Fast alle Bundesländer schicken auch dieses Mal wieder Einsatzkräfte, um den Transport vor Störern zu schützen.
Polizeichef Niehörster zeigt Verständnis für die Ängste und den Protest der Wendländer. "Der Protest ist legitim und wird ernsthaft betrieben. Wir wollen mit den Demonstranten vernünftig umgehen, aber wir werden unseren Auftrag ausführen", betont der Einsatzleiter. Jeweils 50 Meter rechts und links der Transportstrecke werde es wieder ein allgemeines Demonstrationsverbot geben.
Auch die Zahl der Konfliktmanager soll Niehörster zufolge verringert werden. Die Beamten werden jedoch gezielter eingesetzt. "Polizeiliche Eingriffsmassnahmen sollen dieses Mal immer gleich von Konfliktmanagern moderiert werden", erklärt der Einsatzleiter. Die Polizisten würden sich zudem stärker als bisher nahe an der Transportstrecke bewegen, um das Alltagsleben im Wendland möglichst wenig zu beeinträchtigen.
Dass bisher weit weniger Demonstrationen angemeldet wurden als bisher, muss nicht auf ein Abflauen der Proteste hinweisen. "Wir wollen keine Energie im Vorfeld verschwenden", betont BI-Sprecher Althoff und rechnet bei der Auftaktveranstaltung mit 3.000 Demonstranten. "Von der Oma bis zum Enkel werden wieder alle dabei sein." Das Info-Zentrum der Atomkraftgegner auf der so genannten ESSO-Wiese in Dannenberg sei bereits genehmigt. Erstmals plant die BI, bei ihrer Auftakt-Demonstration am Sonnabend (6. November) über die Castorgleise vorbei an den fest installierten Polizei-Containern und der Natodraht-Absperrung zu ziehen. "Wir wollen diese Bilder der Öffentlichkeit zeigen", sagt Althoff.
Künstler werden die Castor-Tage im Wendland unter anderem mit Satire und Hip-Hop-Rhythmen begleiten. Die Initiative "X-tausendmal quer" kündigte eine gewaltfreie Sitzblockade auf der Strasse an. Es seien viele neue junge Atomkraftgegner von ausserhalb dazugekommen, sagt die Sprecherin der Umweltschutzorganisation Robin Wood, Ute Bertrand. "Wir wünschen uns eine Renaissance des Widerstandes."