Streit um Sicherheitsrisiken im RWE-Hochspannungsnetz
Stand: 05.12.2005
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Essen/Düsseldorf (dpa) - Nach den Stromausfällen im Münsterland sind nach Expertenansicht die Chancen für Verbraucher und Firmen auf Schadenersatz möglicherweise gestiegen. Der Grund: Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" soll der Energie-Konzern RWE seit Jahren über Sicherheitsmängel im Hochspannungsnetz informiert gewesen sein. Wie "Der Spiegel" unter Berufung auf interne Papiere aus dem Jahr 2003 meldet, hätten bis zu 60 Prozent aller RWE- Hochspannungsmasten Materialfehler aufgewiesen. RWE wies diese Vorwürfe zurück.
Das NRW-Wirtschaftsministerium rechnet bis Mitte kommender Woche mit detaillierten Angaben des RWE-Konzerns über die Investitionen in die Netze. "Dies bezieht sich auf Art und Umfang der Wartung und Unterhaltung sowie auf das Alter und den Zustand der Masten in Westmünsterland", sagte ein Ministeriumssprecher am Sonntag in Düsseldorf auf Anfrage. Gleichzeitig gab das Ministerium bekannt, dass Landwirte und Firmen der Region Sonderkredite in Höhe von insgesamt zwei Millionen Euro erhalten.
"Unterstützt werden sollen Betriebe, die durch die Naturkatastrophe am vergangenen Wochenende in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind", sagte die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) am Sonntag. Dazu sei ein Sonderkreditprogramm zwischen Landesregierung und NRW-Bank vereinbart worden.
Die Industrie- und Handelskammer Münster hatte die Schäden ihrer Firmen durch Produktionsausfall auf mehr als 100 Millionen Euro taxiert. Das Handwerk machte Schäden in Höhe von 25 Millionen Euro geltend. Auch die Landwirte im Münsterland gehen von erheblichen Schäden aus. RWE hat nach eigenen Angaben einen Härtefallfonds in Höhe von fünf Millionen Euro für besonders Betroffene aufgelegt.
Nach Angaben des Konzerns ist bereits im Jahr 2001 ein Instandhaltungskonzept zur Mastsicherheit mit einem Volumen von 550 Millionen Euro beschlossen worden. Im Vorfeld dieser Entscheidung war bekannt geworden, dass sich der für Hochspannungsmasten in Europa oft verwendete so genannte Thomasstahl spröde werden könnte. Der Energiekonzern habe vor Jahren seine Hochspannungsmasten daraufhin kontrolliert und einen unabhängigen Experten eingeschaltet.
Der "Spiegel" zitiert eine interne RWE-Risikoanalyse aus dem Jahr 2002, wonach viele Masten nicht einmal mehr 40 Prozent der normalen Zugbelastung standhielten. Bei extremen Wetterlagen könnte es laut Analyse auf Grund der Materialfehler zu "flächenhaften Mastumbrüchen kommen", schreibt das Magazin. In dieser Analyse kalkulierten die RWE-Manager demnach auch "strafrechtliche Haftungsrisiken durch Personenschäden" ein. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen solchen Unfall werde mit "bis zu 10 Prozent" eingeschätzt.
Der Energie-Konzern hat nach eigenen Angaben alles unternommen, um die Risiken so gering wie möglich zu halten. Bereits vor Jahren seien alle Masten der Hoch- und Höchstspannung der früheren RWE Net aus den 60er Jahren und älter einzeln einer optischen Kontrolle unterzogen worden, heißt es in einer Mitteilung. Daraus hätten sich keinerlei Hinweise auf flächendeckende Sicherheitsmängel ergeben. RWE-Sprecher Peter Dietlmaier verwies zudem darauf, dass vorsorglich alle Masten aus Thomasstahl in der Nähe von Bebauungsgebieten oder an Kreuzungen vorbeugend saniert oder ausgetauscht würden. Bisher sei das mit rund 70 Prozent aller 2900 Masten dieser "Kategorie 1" geschehen. Im kommenden Jahr werde dieses Programm abgeschlossen. Bis 2015 sollten die restlichen betroffenen Stahl-Masten, die nicht als besonders gefährdet gelten, ebenfalls saniert oder ausgetauscht werden.