18-jährige Castor-Gegnerin muss vor Gericht
Stand: 29.10.2002
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Dannenberg (dpa/lni) - Marie ist fast 18 Jahre und müsste an diesem Donnerstag eigentlich zum Unterricht ins Wirtschaftsgymnasium nach Lüchow gehen. Stattdessen wird sie ins benachbarte Dannenberg im niedersächsischen Wendland fahren, wo Jugendrichter Thomas Stärk unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen sie verhandeln wird.
"Solch ein Etikett habe ich nie gewollt. Ich hasse sowieso alle unnötige Aufmerksamkeit, wenn es nicht um die Sache geht", sagt Marie. Die junge Frau mit den blitzblauen Augen hat ihren eigenen Kopf. Darum hatten ihre Eltern - selbst "alte Hasen" im seit 25 Jahren dauernden Widerstand des Wendlandes gegen die Gorlebener Atomanlagen - im März 2001 wenig Chancen, der Tochter die Teilnahme an der spektakulären Aktion auszureden. "Ich sah mich dabei als Vertreterin meiner Generation, aber auch als Teil der kleinen Gruppe von wendländischen Robin-Wood-Aktivisten, die das Ding mit dem Anketten an die Gleise ausbrütete", erklärt Marie.
Die drei jungen Männer, die mit ihr über Stunden bei Temperaturen von minus sieben Grad stumm ihren Protest ausdrückten, sind inzwischen ebenso wie ein vierter Beteiligter vom Lüneburger Amtsgericht zu Geldstrafen verurteilt worden. Der Hamburger Rechtsanwalt Wolf Römmig, der Marie vor dem Jugendgericht vertritt, rechnet für Donnerstag mit einer "Ermahnung" und Einstellung des Verfahrens. "Sie ist aber zur öffentlichen Person geworden, daher ist zu befürchten, dass die Staatsanwaltschaft ein Urteil anstrebt", meint der in Gorleben-Prozessen erfahrene Jurist.
Das, was Marie und den anderen Castor-Gegnern als Überraschungscoup gelang, wird nach Einschätzung der Polizeiführung beim bevorstehenden Castortransport in etwa zwei Wochen "so keine Chance mehr haben". Die ganze Bahnstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg sei "absolut clean", sagt Polizeichef Hans Reime.
Videos seiner Beamten beweisen detailgetreu die Vorgänge vom 27. auf den 28. März 2001, als der rechte Arm des Mädchens fest gekettet in einer Röhre steckte, die in einen etwa einen Kubikmeter grossen Betonblock unter den Gleisen eingegossen war. Das bedeutete für Bundesgrenzschutz, Technisches Hilfswerk und andere Helfer viele Stunden Präzisionsarbeit, um die Demonstranten bei der Befreiung nicht zu verletzen.
"Wir hätten auch ohne Polizeihilfe befreit werden können, das war erprobt", sagt Marie. Sie will damit auch Kritiker in Schranken verweisen, die Robin Wood Verantwortungslosigkeit vorgeworfen hatten.