Essen (dpa) - Die Nachricht vom Rücktritt des RAG-Chefs Karl Starzacher kam unerwartet. Dass die Unruhe um den bevorstehenden Umbau des Industrie-Riesens so weit gehen würde, dass sie sogar einen Wechsel an der Spitze nach sich ziehen würden, überraschte selbst Insider. Am Dienstag hatte der 58-jährige Jurist und ehemalige hessische Finanzminister knapp eineinhalb Jahre vor dem Auslaufen seines Vertrages bei dem Bergbau- und Chemiekonzern das Handtuch geworfen. "Aus persönlichen Gründen" habe er den Aufsichtsrat gebeten, ihn Ende Mai von seinen Pflichten zu entbinden. Näheres wurde offiziell nicht bekannt.
Starzacher geht zu einem Zeitpunkt, zu dem die ehemalige Ruhrkohle AG dem grössten Umbau ihrer Firmengeschichte ins Auge sieht. Aus dem Bergbaukonzern wird mit der Übernahme der Degussa vor allem ein Chemiekonzern. Quasi in letzter Minute war Ende Januar die mühsam eingefädelte Übernahme der Mehrheit bei Degussa von
E.ON im Tausch gegen ein dickes Ruhrgas-Paket über die Bühne gegangen. Anfang März präsentierte Starzacher dann eine umfassende Neuausrichtung des Konzerns. "Eine historische Zäsur" hatte er die Entscheidungen damals genannt.
Auf den Säulen Chemie, Bergbau und Immobilien soll das Unternehmen mit künftig mehr als 100.000 Beschäftigten stehen. Von 20 Milliarden Euro Umsatz entfallen dann allein 12 Milliarden Euro auf Degussa. Bis Ende kommenden Jahres will sich der Essener Traditionskonzern von Geschäftszweigen mit einem Umsatzvolumen von mehr als sechs Milliarden Euro und fast 18.000 Mitarbeitern trennen. Diese Neuausrichtung sei einstimmig vom Aufsichtsrat beschlossen worden und werde auch weiterhin umgesetzt, betonte eine RAG-Sprecherin am Dienstag nach der Bekanntgabe des Rücktritts.
Spekulationen über die genauen Hintergründe dieses Schrittes gibt es viele. Zwar nahm der Vorsitzende des RAG-Aufsichtsrats, E.ON-Chef Ulrich Hartmann, die Entscheidung mit "Bedauern und grossem Respekt" zur Kenntnis. Doch gehen Branchenkenner davon aus, dass zuletzt auch die RAG-Haupteigentümer E.ON und
RWE Starzacher den Konzernumbau nicht mehr zutrauten. Auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sollen seit längerem mit der Amtsführung wegen fehlender Entschlossenheit bei der Neuausrichtung unzufrieden gewesen sein. Differenzen über den künftigen Kurs zeichneten sich bereits Mitte Februar ab, als der Vorstandschef der defizitären Chemie- und Kunststoff-Tochter Rütgers, Werner Heep (55), ebenfalls "aus persönlichen Gründen" seinen Amtsverzicht für Ende März ankündigte. Neuer Chef bei Rütgers ist seit Dienstag der ehemalige Degussa- Manager Heinz Rzehak (54).
Wenige Tage nach Heeps Rücktrittsankündigung war der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (WAZ) ein bei Degussa erstelltes Strategie-Papier zugespielt worden. In diesem wurde der Verkauf von weiten Teilen der Rütgers-Gruppe empfohlen. Starzacher liess kurz darauf allerdings erklären: "Die Unternehmensstrategie und -entwicklung für den RAG-Konzern wird ausschliesslich vom RAG-Vorstand gemacht."
Anfang März kündigte die RAG dann den Verkauf der Kunststoff- Aktivitäten bei Rütgers an und stellte die Weichen für die Neuausrichtung. Mit der Regelung der Nachfolge will sich der Aufsichtsrat nun "kurzfristig befassen, um eine schnelle Lösung herbeizuführen." Erste Namen für die Nachfolge wurden von Medien bereits in den Ring geworfen. Der von Degussa-Chef Utz-Hellmuth Felcht etwa. Eine Degussa-Sprecherin wollte sich zu den Spekulationen verschiedener Tageszeitungen jedoch nicht äussern. Auch der Name des Chefs der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie,
Energie (IG BCE), Hubertus Schmoldt, fiel bereits. Gewerkschaftssprecher Christoph Meer meinte dazu nur: "Dummes Zeug."