Berlin (dpa) - Der Konflikt in der großen Koalition über den von der SPD betriebenen Atomausstieg und mögliche Folgen für den Klimaschutz schwelt weiter. Am Wochenende wandten sich sowohl SPD- Chef Kurt Beck als auch sein Amtsvorgänger, Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, klar gegen eine Abkehr von dem unter Rot-Grün mit den Energiekonzernen ausgehandelten Atomkonsens. Unterdessen warfen CDU- Umweltpolitiker aus den Ländern Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) einen Zickzackkurs in der Klimapolitik vor.
Gabriel greife "ohne langfristige Strategie heute dieses, morgen jenes Thema auf, umgesetzt wird aber nichts", kritisierte Schleswig- Holsteins Umweltminister Christian von Boetticher. Während die EU- Kommission kürzlich klare Klimaschutzziele vorgelegt habe, sei bei Gabriel noch immer kein klares Konzept erkennbar. Saar-Umweltminister Stefan Mörsdorf sagte: "Minister Gabriel darf sich nicht nur auf kurzatmige Ankündigungen beschränken." Das CDU-geführte thüringische Umweltministerium schloss sich der Kritik an.
Laut Studie im Auftrag der Umweltorganisation Greenpeace und des Dachverbands der Europäischen Erneuerbare-Energien-Industrie (Erec) ist das Klima noch zu retten, wie "Der Spiegel" berichtet. Durch Energieeinsparungen sowie verstärkte Nutzung von Wind-, Wasser- und Sonnenkraft könne der Anstieg der
Treibhausgase bis 2050 halbiert und eine Erderwärmung auf zwei oder mehr Grad verhindert werden. Die Milliardensubventionen für Kohle und Atomkraft müssten sofort gestrichen werden. Die Studie wurde vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie elf Forschungsinstituten erstellt.
Beck sagte am Sonntag bei einer Feierstunde zu Ehren des SPD- Vordenkers Erhard Eppler im schwäbischen Bad Boll, die Unterschrift der Chefs der
Energiekonzerne zum Atomausstieg stehe unter dem Vertrag mit der früheren rot-grünen Regierung. Heute wollten diese Manager das "nicht mehr wahrhaben". Zudem sei bei der Atomkraft die Entsorgungsfrage nicht beantwortet. Beck warnte davor, dass es durch menschliche Fehler zu einer "katastrophalen Entwicklung" kommen könne, die Generationen belaste. Hinzu komme die terroristische Gefahr. International berge die Verbreitung der Atomkraft große Risiken. "Die Iran-Auseinandersetzung lässt grüßen", sagte Beck.
Die große Koalition hatte 2005 vereinbart, nicht am
Atomausstieg zu rütteln. Teile der Union wollen sich damit aber nicht zufrieden geben. Die Energiekonzerne RWE und EnBW haben mittlerweile Anträge auf eine Verlängerung der Laufzeiten einzelner Reaktoren gestellt.
Beck sagte, es gebe "ernste Diskussionen" mit der Union, in denen geklärt werden müsse, wie die "Energielücke" geschlossen werde könne, bis die Gewinnung und Speicherung von
erneuerbaren Energien so weit sei. Auch Alt-Kanzler Schröder warnte die Union vor einem "Ausstieg aus dem Atomausstieg". Den Konsens von 2000 aufzubrechen, wäre ein "verhängnisvoller Fehler", sagte Schröder am Samstag in Bad Boll. Zu befürchten sei, dass bei einer Umkehr die Investitionen in erneuerbare Energien "nachhaltig zurückgehen".
SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer hielt den Unions-Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen vor, den Ausbau erneuerbarer Energien willkürlich zu blockieren. Mit "Schikanen" bei der Genehmigung von privaten Wasserkraft- und
Windkraftanlagen würden Investoren seit Jahren abgeschreckt, sagte der SPD-Energieexperte der dpa in Stuttgart. "Wenn man die Ausweitung derart bremst, dann wird das Argument für eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke unglaubwürdig." Scheer forderte die drei Bundesländer auf, die bürokratischen Schranken für den Ausbau der Windkraft aufzuheben.