Motorrad-Test Indian Challenger: Gut geeignet für lange Touren
Stand: 06.05.2020
Bildquelle: ©SP-X/Ulf Böhringer / Text: SP-X
Die US-Motorradmarke Indian lebt vom Widerstreit mit Harley-Davidson. Jetzt gibt es das neue Modell Challenger. Es hat die Road Glide des US-Dominators im Visier.
Konkurrent zu Harley-Davidson
Der Name der neuesten Indian ist Programm: Die US-Firma, 2011 vom finanzstarken Polaris-Konzern zum mutmaßlich dauerhaften Leben wiedererweckt, hat schon bei vier der fünf seither präsentierten Modelle diverse Harleys im Visier gehabt, nun zielt man mit der Challenger (deutsch „Herausforderer“) auf die Road Glide. Mit knapp 31.000 Euro kostet die in den USA gefertigte Indian rund 2.000 Euro mehr als ihr Wettbewerber, für Nicht-US-Märkte aus Zollgründen mittlerweile Made in Thailand.
Kräftiger Motor
Der flüssigkeitsgekühlte V2-Motor mit 1.768 Kubikzentimetern Hubraum arbeitet weitestgehend vibrationsfrei und ist mit 90 kW/122 PS bei 5.500 U/min. extrem kräftig. Auch das maximale Drehmoment von 178 Nm bei 3.800 U/min. sorgt beim Beschleunigen für lange Fahrer-Arme. Drehfreude gepaart mit Laufkultur und Durchzugsstärke sind Kennzeichen des sehr ansehnlichen wassergekühlten Vierventil-Triebwerks; sein Wohlfühlbereich liegt zwischen knapp 1.500 und 5.000 Touren. So hoch dreht man in der Praxis aber selten. Der Sound des V2 ist perfekt: ausdrucksstark, aber weder für Fahrer noch Umgebung lästig. So kann man bis etwa 140 km/h selbst ohne Kopfhörer recht gut Radio hören; der elektrisch verstellbare Windschild wie die 6,5 Zoll großen 100-Watt-Lautsprecher helfen dabei.
Beim Gas etwas ruppig
Der Verbrauch des Power Plus V2, dem volumenstärksten wassergekühlten Motor der Amis, wird laut WMTC-Test mit 6,1 Liter/100 km angegeben. Dieser Wert ist bei artgerechter Fahrweise durchaus erreichbar; über 2.000 Testkilometer notierten wir, Verbräuche zwischen 5,0 und 6,9 Liter, abhängig von der Fahrweise. Dank des großen 22,7 Liter-Tanks sind 350 Kilometer Reichweite drin. Einzig die Gasannahme könnte im Kapitel Antrieb besser gelöst sein: Nur im Regen-Fahrprogramm geht der V2 kultiviert ans Gas, bei Standard und Sport löst spontanes Gasgeben einen mehr oder minder kräftigen Ruck aus. Auch die Feinjustierung des Tempomats hat Ruppigkeiten zur Folge.
Gefälliges Fahrwerk
Zu viel Information auf dem Display
Die beiden runden Anzeigen im Cockpit spiegeln und sammeln bei Regen das Wasser, die beiden voluminösen Ablagefächer in der Frontverkleidung sind nicht absperrbar und das nicht im Keyless-System integrierte Lenkschloss ist fummelig zu bedienen. Schön wäre auch eine Hinterleuchtung der Lenkerschalter. Das gut bedienbare Navigationssystem verfügt über ein riesiges Display, doch nervt die Menge der nutzlosen Ansagen auf Dauer enorm. Die anderen Elemente des fülligen Rider Command Systems können dagegen überzeugen. Irritierend war die Eigenschaft des Testbikes, beim Druck des Anlasserknöpfchens nicht stets spontan den Motor zu starten; mitunter bedurfte es mehrerer Versuche. Dass zweimal eine Kontrollleuchte auf “Fehler am Fahrwerk” aufleuchtete, irritierte ebenfalls. Und auch die Benzin-/Reichweitenanzeige neigt zum gelegentlichen Eigenleben: Mit Sprit für noch rund 80 Kilometer abends geparkt, lautete die Reichweiten-Angabe am nächsten Morgen “1 Kilometer”. Schreck lass nach! Das sofortige Volltanken ergab, dass noch 6 Liter im Tank waren.
Für längere Touren erscheint die Indian Challenger gut geeignet: Der Sitzkomfort ist auch für eine Sozia sehr gut, die Fahrer-Trittbretter bieten eine prima Auflagefläche für die Stiefel, der Windschutz ist dank des elektrisch verstellbaren Windschilds und diverser Flaps bis etwa 160 km/h ok. Auch das LED-Licht überzeugt. Das gelingt den beiden voluminösen Seitenkoffern nicht: Ihre Aufhängung wie auch der Schließmechanismus mittels eines mittig installierten Hakens wirken nicht vertrauenerweckend.
Design gefällt nicht jedem
Ist die Indian Challenger nun die bessere Harley-Davidson Road Glide? Die Antwort besteht in einem klaren Jein. Das urwüchsige Bike aus Milwaukee ist in sich stimmiger und wirkt in Details wertiger, während der Herausforderer das feinere, stärkere und deutlich komfortablere Motorrad darstellt, mit dem sich spürbar besser reisen lässt. Zudem bietet es mit der erwähnten Unterflurbeleuchtung ein geniales, wenn auch fürs Fahren nutzloses Gimmick.
Autor: Ulf Böhringer