China entlässt zur Kanzler-Visite drei Internet-Dissidenten aus den Gefängnis
Stand: 30.11.2003
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Peking (dpa) - Die Taktik ist bekannt. Kurz vor Staatsbesuchen oder wenn es politisch Gewinn verspricht, entlässt China einen politischen Häftling. Die Freilassung der 23-jährigen Internet- Autorin Liu Di diente besonders gut dazu, den internationalen Druck wegen der zunehmenden Verfolgung von Internet-Nutzern wegzunehmen. Auch kann Regierungschef Wen Jiabao bei seinen Gesprächen am Montag mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in Peking sowie am 9. Dezember mit US-Präsident George W. Bush in Washington "die Atmosphäre aufhellen", wie Frank Lu vom Informationszentrum für Demokratie und Menschenrechte sagte.
China ist das "weltweit grösste Gefängnis für Internet-Nutzer" geworden, stellte die Organisation Reporter ohne Grenzen fest. Fast 70 Millionen Chinesen surfen heute im Internet. Ihre Zahl hat sich bislang fast alle sechs Monate verdoppelt. Die Zahl chinesischer Webseiten verdoppelt sich jährlich. Die Staatssicherheit fürchtet den freien Informationsfluss. Das Internet wird zensiert, kontrolliert und blockiert. Nach Untersuchungen sind mehrere zehntausend Webseiten zeitweise oder immer gesperrt, darunter etwa der britische Sender BBC, Zeitungen in Taiwan oder Menschenrechtsorganisationen.
In Internet-Cafés ist spezielle Software in den Computern installiert. Filter sperren E-Mails mit bestimmten Reizwörtern oder Beiträge in Chaträumen, die auch manuell "bereinigt" werden, wenn trotzdem unerwünschte Äusserungen durchschlüpfen. 30.000 Kontrolleure sollen im Einsatz sein. Oft sehr effektiv. Immer mehr Internet- Nutzer, die politische Inhalte verbreiten, werden aufgespürt. Drakonische Strafen von drei bis zehn Jahren Haft wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" oder "Verrats von Staatsgeheimnissen" dienen der allgemeinen Abschreckung. "Shayi Jinbai", lautet die Devise, "Töte einen, um hundert zu verängstigen."
Die Freilassung der Studentin Liu Di bedeutet keinen grundlegenden Wandel in dieser Politik. Der Westen dürfe sich nicht zurücklehnen und all die anderen vergessen, die in Haft seien, warnte Frank Lu. Auch wenn sich China gern mit Rechtsreformen schmückt, warnen chinesische Anwälte, dass es schlimm um das Justizsystem bestellt sei. Richter erhielten politische Weisungen von der Partei und seien nicht unabhängig. Ein Anwalt, der sich mit Anklagen wegen politischer Äusserungen im Internet auskennt und nicht genannt werden will, sagte: "Das Gesetz soll das Handeln der Menschen regeln, nicht ihre Meinungsäusserungen. Man muss einer Meinung nicht zustimmen, aber man darf den Menschen nicht das Recht wegnehmen, die Meinung zu äussern."