Auffahrunfall: Wer haftet?
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„Wer auffährt, ist schuld“: Dieser Satz stimmt so schon lange nicht mehr. Die Straßenverkehrsordnung sagt zwar, dass man immer genügend Abstand halten muss, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Aber in der Rechtsprechung gibt es ein Umdenken. Der Auffahrende hat nicht immer Schuld.
Das Wichtigste in Kürze
- Wer als Vorausfahrender grundlos vorsätzlich oder spontan bremst oder andere ausbremst, trägt die Alleinschuld bei einem Unfall und macht sich gegebenenfalls strafbar.
- Ein ausreichender Sicherheitsabstand ist gegeben, wenn der Abstand in Metern die Hälfte der Tachoanzeige ausmacht.
- Bei Teilschuld übernehmen die Haftpflichtversicherungen der Beteiligten jeweils nur die Quote der Schuldzuweisung.
Die Rechtsprechung beim Auffahrunfall
Bei einem Auffahrunfall gilt zuerst der Anscheinsbeweis: Wer auffährt, war am Vordermann zu dicht dran und trägt deshalb die Schuld.
Immer häufiger berücksichtigen Richter aber die individuellen Umstände, welche zum Auffahrunfall führten. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass ein sogenannter „Drängler“ einfach zu dicht dran war. In so einem Fall ist die Schuldfrage ziemlich eindeutig.
Man muss aber auch das Fahrverhalten des vorderen Fahrzeugs berücksichtigen. Das unvermutete spontane Abbremsen auf völlig freier Straße kann durchaus eine Teilschuld bedeuten. Verkehrsteilnehmer sind gehalten, auch auf die voraus und hinterher fahrenden Fahrzeuge zu achten.
Doch auch hier kommt es auf die Umstände an. Denn natürlich ist in bestimmten Gefahrensituationen starkes Bremsen notwendig, wenn etwa ein Kind oder Tier unvermittelt über die Straße läuft. Doch Vorsicht: Kleintiere haben für Gerichte wenig Wert. Sprich: Wer wegen eines Eichhörnchens bremst, muss damit rechnen, eine Teilschuld zugesprochen zu bekommen.
Die „Verkehrspädagogen“
Einer Spezies Verkehrsteilnehmern droht sogar als Vorausfahrenden eine Alleinschuld. Die Rede ist von den selbst ernannten Verkehrspädagogen, welche für sich in Anspruch nehmen, andere Verkehrsteilnehmer maßregeln zu können. In dem Glauben, der hintere Wagen fährt zu dicht auf, setzen sie schon einmal Akzente, in dem sie grundlos und unvermittelt auf die Bremse tippen. Ist die Folge daraus ein Auffahrunfall, gehen die Richter davon aus, dass dieser mit Vorsatz provoziert wurde.
Der Kettenunfall
Eine schwierige Beweislage ergibt sich, wenn es zu einem Kettenunfall kommt, wenn also mehrere Autos aufeinander fahren. Konnte der vorletzte Wagen noch rechtzeitig bremsen, das letzte Fahrzeug fuhr jedoch auf, ist die Lage noch relativ eindeutig. Der vorletzte Wagen hatte ausreichend Abstand zu dem vor ihm verunfallten Wagen und konnte einen weiteren Unfall vermeiden. Das letzte Fahrzeug hätte dies auch geschafft, wenn der Abstand zum vorletzten Auto groß genug gewesen wäre.
Anders sieht es aus, wenn alle beteiligten Fahrzeuge aufeinander aufgefahren sind. In diesem Fall lässt sich nicht feststellen, ob der Unfall in der Theorie zu vermeiden gewesen wäre und ob der letzte Wagen hätte rechtzeitig bremsen können. Zu klären wäre in einem solchen Fall, ob sich der Bremsweg für den letzten Wagen nicht verkürzt hat, weil das vorausfahrende Auto auf den Vordermann aufgefahren ist.
Bei einer Massenkarambolage mit mindestens 40 Fahrzeugen ist das Unfallgeschehen oft unübersichtlich und der Verursacher ist häufig nicht zu ermitteln. Deshalb ersetzt die Kfz-Haftpflichtversicherung auch den Schaden am eigenen Auto, ohne dass dies Auswirkungen auf den Schadenfreiheitsrabatt hätte. Eine Erweiterung der eigenen Autoversicherung um Kaskoschutz ist dafür nicht notwendig.
Auffahrunfall als Versicherungsbetrug
Auffahrunfälle werden manchmal provoziert, um einen Versicherungsbetrug einzuleiten. Besteht der Verdacht, dass es sich um ein solches Vorgehen handelt, sollten die Betroffenen auf jeden Fall die Polizei hinzuziehen. Es gilt zu klären, ob der Schaden vollständig aus dem Unfall heraus resultiert oder ob ein Altschaden mit abgerechnet werden soll.
Wie ermittelt sich der ausreichende Abstand zum Vordermann?
In der Fahrschule lernt man, dass der Abstand die Hälfte des Tachowertes in Metern betragen sollte. Bei Tempo 100 km/h wären das fünfzig Meter. Innerhalb einer geschlossenen Ortschaft gilt als Faustformel ein Abstand von drei Wagenlängen, also rund 15 Metern.
Was tun, wenn es zum Unfall kam?
- Grundsätzlich gilt, dass als Erstes die Unfallstelle gesichert werden muss, um weitere Schäden zu vermeiden.
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Bei einem hohen Sachschaden, wenn Personen verletzt wurden oder wenn die Unfallstelle nicht abgesichert werden kann, muss die Polizei benachrichtigt werden. Gleiches gilt auch, wenn die Schuldfrage strittig ist.
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Die Unfallbeteiligten sollten Fotos vom Unfallort und den Schäden an den Fahrzeugen anfertigen und die wichtigsten Daten austauschen. Dazu zählen Name, Anschrift, Telefonnummer, Versicherung und Versicherungsnummer sowie das amtliche Kennzeichen des gegnerischen Fahrzeugs.
- Bei der Versicherung müssen unverzüglich die notwendigen Formulare, beispielsweise der Unfallbericht angefordert werden.
- Dem Unfallbericht sollten eventuell Skizzen oder Fotos beigefügt werden.
Welche Versicherung bezahlt bei einem Auffahrunfall?
Grundsätzlich bezahlt die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers den Schaden am Fahrzeug des anderen Beteiligten. Für Schäden am eigenen Auto kommt die Vollkaskoversicherung auf, für Glasschäden am eigenen Auto die Teilkaskoversicherung.
Stellt das Gericht eine Teilschuld fest, beispielsweise 60 Prozent bei Fahrer A und 40 Prozent bei Fahrer B, wird auch die Schadensersatzleistung aufgeschlüsselt. Fahrer B erhält 60 Prozent seines Schadens von der Versicherung von A ersetzt. Die Haftpflichtversicherung von B erstattet 40 Prozent der Schadenssumme von A.
Kann ein Auffahrunfall rechtlich bestraft werden?
Entsprechend der Ursache und der Folgen kann ein Auffahrunfall auch juristische Folgen für den Verursacher haben. War ausschließlich zu geringer Abstand Grund für den Unfall, bleibt es in der Regel bei einem Verwarnungsgeld. Auch für Fahrer in der Probezeit gibt es keine weiteren Konsequenzen. Anders verhält es sich allerdings, wenn weitere Verkehrsvergehen mit einfließen, beispielsweise die Handynutzung ohne Freisprecheinrichtung.
Führt der Auffahrunfall beim Unfallopfer zu Verletzungen, muss der Verursacher mit einem Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung rechnen. Die Zahlung von Schmerzensgeld übernimmt der Haftpflichtversicherer, für die Geldstrafe muss der Verursacher selbst einstehen.
Häufig gestellte Fragen
Nach einer allgemeinen Rechtsdefinition gilt ein Unfall als Auffahrunfall, wenn der Mindestabstand zum vorherfahrenden Fahrzeug unterschritten wird und daher der Bremsweg nicht ausreicht, um eine Auffahrt auf das vordere Fahrzeug zu vermeiden.
Bei einem Auffahrunfall greift in der Regel die Kfz-Haftpflichtversicherung des auffahrenden Fahrzeugs.
Generell gilt: Bei einem Auffahrunfall ist immer das auffahrende Fahrzeug Schuld.
Auch bei einem Auffahrunfall gilt: Gibt es verletzte Personen, so verständigen Sie unverzüglich den Notruf sowie die Polizei und leisten Sie erste Hilfe. Stellen Sie danach ein Warndreieck auf, aktivieren Sie die Warnblinkanlage und ziehen Sie sich beim Verlassen des Fahrzeugs Ihre Warnweste über.
Ist die Schuldfrage geklärt, so steht der Unfallverursacher in der Pflicht, den Schaden der eigenen Versicherung zu melden. In der Regel übernimmt diese die Schadensabwicklung und Kommunikation gegenüber der gegnerischen Versicherung sowie des Geschädigten.
Haben Sie den notwendigen Mindestabstand zu einem vorherfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten und es kommt zu einem Auffahrunfall, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit. Diese kann mit einem Bußgeld belegt werden. Die Höhe des Bußgeldes richtet sich dabei nach der Fahrtgeschwindigkeit und kann zwischen 30 - 400 Euro betragen.
Sind mehrere Fahrzeuge in einem Auffahrunfall verwickelt, ist nicht zwingend das letzte Fahrzeug Schuld. Oft wird bei solch einem Unfall mehreren Fahrern eine Teilschuld zugesprochen.
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