Wissenschaftsakademien empfehlen Weg zu nachhaltiger Energieversorgung
Stand: 21.01.2020
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Die deutschen Wissenschaftsakademien haben im Rahmen ihres Projektes „Energiesysteme der Zukunft“ eine Stellungnahme zu einer klimafreundlichen, sicheren und wettbewerbsfähigen Energieversorgung im Jahr 2050 abgegeben.
Besonders wichtig seien die kluge Mischung aus zentraler und dezentraler Energieversorger. Dafür müssten alle Möglichkeiten für den Ausbau von Wind- und Solaranlagen genutzt werden – von der Solaranlage auf dem Dach bis zum Windpark auf See. Für eine erfolgreiche Energiewende fordert die Stellungnahme, den Netzausbau schnellstmöglich voranzutreiben und eine sichere digitale Steuerung des Energiesystems zu gewährleisten. Stromnetze sowie Windkraft- und Solaranlagen müssen umwelt- und sozialverträglich ausgebaut werden.
Kleinproduktion reicht nicht aus
Strom mit der eigenen Solar- oder Windkraftanlage erzeugen und die Energiewende im Kleinen voranbringen – diesen Pfad beschreitetn immer mehr Privatpersonen, Energiegenossenschaften und Kommunen. Doch diese „Prosumer“ allein werden den Strombedarf nicht decken, zumal erneuerbarer Strom mit der Kopplung der Energiesektoren auch die Basis klimafreundlicher Mobilität und Wärmeversorgung bildet. Daher ist die Kombination aus zentraler und dezentraler Stromerzeugung wichtig.
Wie daraus ein stabiles und nachhaltiges System entstehen kann, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften initiierten Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) untersucht.
Alle Möglichkeiten beim Ausbau der erneuerbaren Energien nutzen
Die Fachleute betonen, dass Windkraft- und Solaranlagen umwelt- und sozialverträglich ausgebaut werden müssen, um Konflikte mit der Umwelt und Bevölkerung so weit wie möglich zu vermeiden. Dezentrale Photovoltaikanlagen auf bereits bebauten Flächen wie Dächern, Gewerbegebieten oder Parkplätzen werden von den meisten Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert. Gleichzeitig braucht es zentrale Solarparks und Windparks an Land wie auf See, um Strom kostengünstig zu erzeugen.
Doch die nutzbaren Möglichkeiten in der Bundesrepublik reichen vermutlich nicht aus, um den zukünftigen Energiebedarf klimaneutral bereitzustellen. Deshalb raten die ESYS-Fachleute, zusätzlich erneuerbare Energie aus wind- und sonnenreichen Regionen zu importieren. Innerhalb Europas lässt sich grüner Strom über das Verbundnetz transportieren.
Ohne Netzausbau keine Energiewende
Ein weiteres Ergebnis: Die Übertragungs- und Verteilnetze müssen ausgebaut werden – das gilt auch für ein Energiesystem, das stärker auf dezentrale Technologien setzt. „Ohne den Netzausbau wird die Energiewende definitiv scheitern“, stellt Jutta Hanson (Technische Universität Darmstadt) klar. Sie hat die zuständige ESYS-Arbeitsgruppe zusammen mit Peter Dabrock (Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen) und Christoph Weber (Universität Duisburg-Essen) geleitet. „Verzögert sich der Ausbau noch weiter, könnten dezentrale Solaranlagen zusammen mit Speichern und Power-to-Gas-Technologien allerdings dazu beitragen, die kurzfristigen Klimaziele trotzdem zu erreichen.“
Mehr Cyber, mehr Risiko
Je mehr dezentrale Erzeugungsanlagen, Speicher und Verbraucher es gibt, desto kleinteiliger wird das Energiesystem. Digitale Anwendungen bis zur Künstlichen Intelligenz und zu autonomen Systemen können helfen, das komplexer werdende System effizient zu steuern. Um Risiken wie Cyberangriffe einzudämmen, rät die ESYS-Arbeitsgruppe, digitale Technologien vorausschauend und resilient zu gestalten. Dazu sollte die Anlagentechnik eine schnelle Anpassung an neue Anforderungen durch Software-Updates ermöglichen. Denn andernfalls wäre es sehr aufwendig, teuer und langwierig, die vielen kleinen Anlagen mit neuer Hardware nachzurüsten.
Für ein gutes Zusammenspiel aller Anlagen ist neben der Hard- und Software ein kluger Regulierungsrahmen erforderlich. „Der Markt muss verschiedene Prosuming-Modelle ermöglichen, ohne ständig neue Sonderregelungen zu schaffen. Zudem müssen Prosumer und andere Investoren konsistente Anreize erhalten, um Betriebsweise und Standort ihrer Anlagen so zu wählen, dass kein übermäßiger Netzausbau erforderlich ist“, erklärt Christoph Weber, Co-Leiter der Arbeitsgruppe.
Bürgerinnen und Bürger mitnehmen
Damit Bürgerinnen und Bürger den Ausbau von Windenergieanlagen, Solarparks und Stromnetzen befürworten, müssen sie die Energiewende aktiv mitgestalten können. Peter Dabrock, Co-Leiter der ESYS-Arbeitsgruppe, kennt die verschiedenen Optionen: „Haushalte und Kommunen können finanziell von der Wertschöpfung erneuerbarer Energien profitieren, etwa durch ein bundesweites Investitionsbeteiligungsgesetz oder durch Sonderabgaben der Betreiber an Gemeinden. Außerdem muss die Bevölkerung die Chance haben, sich politisch einzubringen. Regional funktioniert das schon gut, doch wir brauchen mehr Partizipation auf Bundes- und Landesebene.“ Dazu könnten etwa Runde Tische, Bürgerversammlungen und Dialogplattformen beitragen.