Ordnen der Informationsflut: Kuratierungsdienste im Netz
Stand: 05.10.2011
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Dortmund - Im Ruhrgebiet wackelte Anfang September der Boden. Die Nachricht verbreitete sich zuerst auf Twitter. "Hui, Erdbeben in Dortmund?", war die Frage eine Nutzerin über den Kurzmeldungsdienst. Jemand anders schickte bald darauf einen Bericht des Geoforschungszentrums Potsdam herum: Stärke 4,6. Nicht lange danach vermeldeten auch das Pottblog und der WDR die Erschütterung.
Für die Dortmunder Lokalredaktion der "Ruhr Nachrichten" (RN) waren die vielen Info-Häppchen ein prima Rohstoff: Die Reporter schrieben nicht nur einen Artikel für die Website und die Zeitung, sondern bastelten auch eine Multimedia-Geschichte - mit dem Dienst Storify. Twitter-Meldungen, Links und Videos fügen sich zu einem bunten Bild von dem glücklicherweise recht harmlosen Naturereignis zusammen.
Storify und Licorize, Scoop.it und Curated.by - Dienste, die Informationsflut ordnen
Damit liegen die Berichterstatter aus der Ruhrstadt im Trend: Immer mehr junge Dienste helfen, die Informationsflut zu ordnen, die täglich durchs Internet rauscht. Bei Storify und Licorize, Scoop.it und Curated.by können Nutzer Inhalte ordentlich ablegen, neu zusammenstellen und kommentieren. Im besten Fall erzählen sie so eine eigene Geschichte. Das alles geht mit wenigen Klicks und ist somit deutlich einfacher, als ein eigenes Blog anzulegen. Kuratieren wird das genannt. Man könnte auch sagen: Linkliste 2.0.
Storify
Storify, das ein Startup aus den USA entwickelt hat, gehört zu den bekanntesten Diensten. Nutzer können über eine Suche Inhalte aus Twitter, YouTube, Flickr, Facebook und anderen Websites aufstöbern, kommentieren und per "drag and drop" zu einer Geschichte verarbeiten. Das ist technisch sehr einfach zu bedienen", sagt Oliver Koch, Redakteur bei den "Ruhr Nachrichten" in Dortmund. "Als Nutzer kann ich andere mit Links versorgen, ohne viel formatieren zu müssen."
Seine Redaktion testete Storify erstmals, als der BVB im Frühjahr die Fußball-Meisterschaft gewann und Hunderttausende in Dortmund feierten. Fotos, Videos, Tweets und Vorschauen zu Nachrichtenartikeln lassen erahnen, was in der Westfalenmetropole los war. Ein weiterer Pluspunkt für den Dienst: Dank einer Schnittstelle lassen sich die Storys exportieren und auf der eigenen Website veröffentlichen. So stehen Nachrichtenartikel und Social-Media-Überblick nebeneinander.
"Ruhr-Nachrichten"-Redakteur Koch ist nach den ersten Versuchen angetan. "Einige Funktionen sind noch in den Kinderschuhen, der Dienst ist nicht 100-prozentig verlässlich, aber eine spannende Ergänzung für unsere Berichterstattung."
Scoop.it
Während Storify einem bebilderten Nachrichtenartikel ähnelt, sieht Scoop.it eher wie ein Journal aus. Denn der Dienst generiert aus den Links bunte Vorschauen mit Überschriften und Fotos, wie es von der iPad-App Flipboard bekannt ist. Zur Illustration lassen sich auch eigene Bilder hochladen. Wer bei dem Dienst registriert ist, kann - ähnlich wie bei Twitter - anderen folgen und nachlesen, was sie alles veröffentlichen.
Der Web-Entwickler Henry Zeitler aus Düsseldorf gehört zu den ersten Nutzern. Auch wenn es hier und da noch hakt, ist er angetan. Scoop.it ziele nicht auf Nerds, sondern Otto-Normal-User ab: "Das ist für Leute interessant, die keinen eigenen Blog betreiben, aber etwas verbreiten möchten. Die einfache Handhabung macht Spaß", sagt der Tester, der das Blog Freizeitler.de betreibt.
Ein Manko sieht Zeitler allerdings: "Im Moment passiert nicht viel, es plätschert vor sich hin." Der Dienst ist im geschlossenen Testbetrieb, ohne Einladung geht nichts. Scoop.it werde bald allen Nutzern offenstehen, versicherte das Unternehmen auf Anfrage.
Diigo
Während bei Storify und Scoop.it das Kuratieren im Mittelpunkt steht, ist Diigo ein vollumfänglicher Informationsmanager mit einem angeschlossenen sozialen Netzwerk. Nutzer können dort Fundstücke ablegen und mit einem virtuellen Textmarker Passagen hervorheben.
Doch auch Diigo ist ein Kuratier-Werkzeug: "Ich kann Linklisten zusammenstellen und einzelne Beiträge kommentieren", erklärt Andreas Auwärter, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Koblenz mit E-Learning beschäftigt und Diigo seit 2008 verwendet.
Über die Schnittstelle des Dienstes exportiert der Pädagoge Linklisten und veröffentlicht sie in seinem Blog. Wer sich für sein Lieblingsthema Podcasting interessiert, findet hier einen großen Fundus mit spannenden Lesetipps.
Optisch kann Diigo mit Storify und Scoop.it nicht mithalten, auf Bilder und Vorschauen müssen Nutzer verzichten. Auwärter überzeugen aber die vielen anderen Funktionen, etwa die komfortable Suche und die Gruppenfunktion. "Ich kann entscheiden, ob ich Links in einer geschlossenen Gruppe verbreite oder veröffentliche - das ist für mich ein Muss", sagt er.
Delicious
Ähnlich wie Diigo ist Delicious ein Lesezeichen-Dienst. Doch der Web-2.0-Pionier setzt seit kurzem ebenfalls aufs Kuratieren: Nutzer können Links in übersichtlichen Listen - Stacks - zusammenfassen und mit aller Welt teilen. Dank der integrierten Website-Vorschauen sieht das hübsch aus. Bei den jüngsten Änderungen gab es allerdings einige technische Probleme, viele Stammnutzer sind verärgert.
Urheberrecht nicht aus den Augen verlieren
Wer aus den Inhalten anderer Nutzer etwas Neues zusammenpuzzelt, sollte das Urheberrecht nicht aus den Augen verlieren. "Wenn man Links zusammenstellt und kommentiert, ist das unproblematisch", sagt der Rechtsanwalt Carsten Ulbricht in Stuttgart. Komplizierter wird es, wenn man Textpassagen übernimmt. Hier gelte das Zitatrecht: "Ich kann Werkteile entnehmen, wenn ich die Originalquelle angebe meine eigene Ausführungen hinzufüge", sagt Ulbricht, der sich auf IT- und Internetrecht spezialisiert hat.
Zu großer Vorsicht rät der Anwalt bei Fotos - die unerlaubte Übernahme fremder Bilder hat vielen Bloggern und Website-Betreibern juristischen Ärger bereitet. "Wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich das Bild nutzen kann, sollte ich die Finger davon lassen." Kein Problem sieht er in Screenshots.
Große juristische Auseinandersetzungen für die Nutzer von Storify und Co erwartet Ulbricht aber nicht: "Mir ist ein kein Fall bekannt, dass der Nutzer eines Kuratierungsdienstes in Deutschland abgemahnt oder verklagt wurde."