Wirtschaftsforscher senken Wachstumsprognose deutlich
Stand: 12.10.2012
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Berlin - Die führenden Wirtschaftsforscher zeigen sich angesichts der Euro-Schuldenkrise pessimistisch: Nur ein Prozent Wachstum trauen sie Deutschland 2013 zu.
Die Dauerkrise um den Euro und die schwächelnde Weltkonjunktur bremsen die Wirtschaftslokomotive Deutschland aus Sicht der führenden Forschungsinstitute empfindlich ab. Die Ökonomen erwarten für das kommende Jahr nur noch ein Wachstum von 1,0 Prozent. Damit halbierten sie ihre Prognose aus dem Frühjahr.
Bei der Vorlage des Herbstgutachtens für die Bundesregierung warnten die Institute am Donnerstag vor wachsender Inflationsgefahr durch die stärkere Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) beim Euro-Krisenmanagement. Unter mittelständischen Firmen in Deutschland trüben sich die Erwartungen laut einer Umfrage leicht ein. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Binnennachfrage stärker ankurbeln.
Die Krise hat auch Deutschland erfasst
"Die Eurokrise hat auch die Wirtschaft in Deutschland erfasst", sagte Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Berlin. Die konjunkturelle Expansion werde vorerst schwach bleiben und erst im Verlauf nächsten Jahres leicht anziehen. Für 2012 rechnen die Forscher mit 0,8 Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt und bleiben damit annähernd bei ihrer im April errechneten Prognose von 0,9 Prozent. Im vergangenen Jahr war die deutsche Wirtschaft noch um drei Prozent gewachsen.
Die acht Institute legen dabei eine allmähliche Stabilisierung der Lage im Euroraum zugrunde, was aber nicht gesichert sei. "Über den gesamten Prognosezeitraum gesehen, überwiegen die Abwärtsrisiken, und die Gefahr ist groß, dass auch Deutschland in eine Rezession gerät."
Auf dem deutschen Arbeitsmarkt werde sich die Lage vorerst kaum mehr verbessern. In diesem und im nächsten Jahr rechnen die Institute mit rund 2,9 Millionen Erwerbslosen und einer Quote von 6,8 Prozent. Die Inflationsrate sehen sie in diesem Jahr bei 2,0 Prozent und im kommenden Jahr bei 2,1 Prozent.
Kanzlerin setzt auf Stärkung der Binnennachfrage
Merkel setzt angesichts der trüberen Aussichten auf eine Stärkung der Binnennachfrage. "Deshalb haben wir durchaus an einigen Stellen auch Senkungen von Steuern zum Beispiel im Blick", sagte die Kanzlerin in Berlin, ohne konkreter zu werden. Wenn es in Deutschland ein gutes Konsumverhalten gebe, "hat das den Vorteil, dass wir natürlich auch Importe aus anderen Ländern der EU gut aufnehmen können". Für dieses Jahr rechnet Merkel mit einem Wachstum um ein Prozent. "Aber wir spüren auch, dass die einbrechenden Wirtschaften in einigen Euroländern natürlich auf uns auch Einfluss haben."
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sagte, die deutsche Wirtschaft sei "weiterhin eine Säule der Stabilität im Euroraum." Um die Euro-Vertrauenskrise zu überwinden, sei strikte Finanzdisziplin nötig. Ihre eigene Herbstprognose will die Regierung am 17. Oktober vorlegen. Sie hatte im Frühjahr 0,7 Prozent Wachstum für dieses und 1,6 Prozent für das kommende Jahr vorhergesagt.
Im Mittelstand hat sich das Geschäftsklima im Herbst laut einer Umfrage der Kreditauskunftei Creditreform etwas abgekühlt. Demnach überwiegen weiter die Optimisten - aber ihr Anteil ist kleiner geworden. Nur noch knapp 16 Prozent der Firmen planen im nächsten halben Jahr, neue Mitarbeiter einzustellen. Fast acht Prozent wollen Stellen abbauen. Der Anteil der Betriebe, die mit steigenden oder sinkenden Auftragseingängen rechnet, hält sich mit 17 und 16 Prozent fast die Waage. Befragt wurden bundesweit rund 4000 Unternehmen.
Geldentwertung nicht auszuschließen
Die Forschungsinstitute sehen im Euro-Raum eine größere Gefahr, dass es mittelfristig zu stärkerer Geldentwertung kommen könne. Grund sei die Bereitschaft der EZB, unbegrenzt Anleihen von Schuldenstaaten zu kaufen. Eine galoppierende Inflation mit zweistelligen Raten sehe niemand, sagte Ökonom Scheide. Bei Raten von fünf, sechs oder sieben Prozent wäre die Stabilitätsunion aber nicht mehr existent.
Das Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Gruppe von Instituten erstellt, darunter auch das ifo-Institut München, das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim, das Institut für Wirtschaftsforschung Halle und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Der Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, warnte vor einem "Teufelskreis aus Rezession und Sparprogrammen" in der Eurozone. Jetzt könne "die Krise der anderen schnell zur eigenen Krise werden, und wir sind auf dem besten Wege dahin", sagte er im Deutschlandfunk. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sprach von einem Warnsignal und pochte auf die geplante Senkung der Rentenbeiträge als Impuls.