Japans Atomlobby setzt sich durch
Stand: 01.06.2012
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Tokio - Seit einigen Wochen kommt Japan komplett ohne Atomstrom aus. Doch die Atomlobby leistet ganze Arbeit und schürt permanent Angst vor Blackouts. Nun steht das Land kurz davor, einige Meiler wieder hochzufahren.
Tsuyoshi Yoshiwara will mit gutem Beispiel vorangehen. Aufgerüttelt durch die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima ist der Banker zum erklärten Atomkraftgegner geworden. Als Präsident einer japanischen Trustbank, Jonan Shinkin, hat der 57-Jährige in seinem Institut kurzerhand elektronische Geräte und Lampen gegen stromsparende Modelle ausgewechselt, die Beleuchtung um die Hälfte reduziert und die Klimaanlagen höher gedreht. Auf diese Weise sei in allen Filialen seiner Bank der Stromverbrauch um mehr als 20 Prozent gesenkt worden, schildert Yoshiwara in der Zeitung "Mainichi Shimbun". Zudem kündigte er den Vertrag mit Tepco, dem Betreiber des havarierten AKW Fukushima, und wechselte zu einem Gasunternehmen.
Zwei Meiler sollen bald wieder ans Netz
Doch der Banker, der mehrmals im Monat Vorträge zum Thema Atomausstieg hält und seinen Kunden günstige Zinsen bei der Finanzierung von Solaranlagen bietet, trifft mit seinem Engagement auf wenig Gegenliebe bei seinen Geschäftskollegen. "Nur wenige Leute aus der Wirtschaft teilen meine Meinung", sagt der Bankpräsident aus Tokio. Ähnlich ergeht es anderen Atomkraftgegnern.
Alles deutet darauf hin, dass voraussichtlich in Kürze zwei zu Wartungsarbeiten heruntergefahrene Reaktoren im Atomkraftwerk Oi in der Provinz Fukui wieder ans Netz gehen, die die Industrieregion Kansai mit der Großstadt Osaka mit Strom versorgen. Japans Ministerpräsident Yoshihiko Noda will schon bald eine Entscheidung fällen. Laut Medien hat er inzwischen genügend Unterstützung lokaler Politiker erhalten.
Strategie der Lobbyisten geht auf
Es wäre das erste Mal seit Beginn der Katastrophe in Fukushima in Folge des Erdbebens und Tsunamis vom 11. März vergangenen Jahres, dass zu routinemäßigen Wartungsarbeiten heruntergefahrene Meiler wieder ans Netz kommen. Seit Anfang Mai dieses Jahres sind sämtliche 50 einsatzfähigen Reaktoren im Lande abgeschaltet. Stattdessen erzeugt Japan seinen Strom derzeit mit Thermalkraftwerken. Die umliegenden Gemeinden und Provinzregierungen lehnten aus Sorge um die Sicherheit der Meiler ein Wiederanfahren der Reaktoren bisher ab.
Die Zentralregierung in Tokio versucht seit geraumer Zeit alles, um wenigstens die beiden Reaktoren in Oi nach kürzlich bestandenem Stresstest wieder ans Netz zu bringen. Immer wieder warnten die Regierung und der regionale Stromversorger Kansai Electric vor Stromausfällen mit entsprechenden Folgen für die Wirtschaft. Die Strategie der Atomlobby scheint nun aufzugehen: Der wochenlange breite Widerstand gegen ein Anfahren der Oi-Reaktoren sei "abrupt" geschmolzen, schrieb die Wirtschaftszeitung "Nikkei" am Freitag.
Kaum noch Widerstand aus der Gesellschaft
Selbst der Bürgermeister der Millionen-Metropole Osaka, Toru Hashimoto, der bisher am lautesten Widerstand geleistet hatte, gab nach und akzeptierte ein - vorübergehendes - Hochfahren der Meiler. Offenbar wollten weder Hashimoto noch seine Kollegen das Risiko eingehen, im Fall von Stromausfällen mit Folgen für ihre Wirtschaft als Sündenbock dazustehen, so die "Nikkei". Zwar hat Regierungschef Noda erklärt, vor einer endgültigen Entscheidung erst noch die Zustimmung der Provinz Fukui und der Gemeinde Oi einzuholen, die von den Geldern des Kraftwerksbetreibers profitieren. Das Gemeindeparlament Oi hat jedoch bereits einem Hochfahren zugestimmt.
Und auch die Union der Regierungen der Region Kansai, eine Vereinigung von Gouverneuren und Bürgermeistern in Westjapan, hat in dieser Woche erklärt, dass sie die Entscheidung der Zentralregierung von Premier Noda akzeptieren werde - was einer Zustimmung zum Wiederanfahren gleichkommen dürfte. Was das für die weitere Energiepolitik des Landes bedeuten wird, bleibt zunächst abzuwarten.
Regierung ist sich noch unsicher
Die lokalen Gouverneure wiesen darauf hin, dass ihre Zustimmung nur von vorläufiger Natur sei. So hat Osakas Bürgermeister Hashimoto erklärt, die beiden Reaktoren in Oi sollten lediglich in den schwülheißen Sommermonaten, wenn die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, Strom produzieren und dann wieder vom Netz genommen werden.
Bis dahin will die Regierung klar machen, welchen Anteil die Atomenergie an der Stromversorgung des Landes künftig haben soll. Die zur Diskussion stehenden Optionen reichen von einem Atomausstieg bis hin zum Ausbau. Geht es nach Tsuyoshi Yoshiwara, wird Japan dauerhaft atomfrei bleiben. "Auch wenn ich zur machtlosen Minderheit gehöre, ich werde weiter zu einem Ausstieg aufrufen", sagt der Banker.